Das deutsche Berufsbildungssystem genießt in Europa und weltweit ein hohes Ansehen. Die Verbindung von Qualifizierung und Beschäftigung, insbesondere die Ausbildung in der realen Arbeitswelt, trägt dazu bei, dass junge Menschen im Anschluss an ihre Berufsausbildung ohne Brüche in den Arbeitsmarkt einmünden können. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat Deutschland aktuell die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa.
Ein berufliches Ausbildungssystem, das maßgeblich auf die Weitergabe von Wissen und Können durch Berufspraktiker setzt, ist jedoch nicht voraussetzungslos. Ein entscheidender Erfolgsfaktor für das duale System ist die hohe Qualifikation derjenigen, die Ausbildung organisieren, am Arbeitsplatz durchführen und verantworten. In den überwiegend klein- und mittelständischen Betrieben des Handwerks übernehmen diese Funktion traditionell die Handwerksmeisterinnen und Handwerksmeister, die dafür eine fundierte Ausbildung durchlaufen haben.
Die Meisterausbildung qualifiziert Fach- und Unternehmensexperten für die berufliche Praxis
In der Meisterschule werden die in der Ausbildung erworbenen beruflichen Kompetenzen erweitert und fachliches Arbeiten in komplexen Zusammenhängen, jenseits von beruflichen Standardsituationen erlernt. In den vergangenen Jahren ist die Meisterausbildung konsequent auf handlungsorientiertes Lernen zur Bewältigung von komplexen Anforderungen in betrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozessen ausgerichtet worden.
Auch in den Meisterprüfungen werden die Anforderungen an Handwerkerinnen und Handwerker realitätsnah abgebildet und somit praxisrelevante Kompetenzen festgestellt. So sind in der Prüfung im Rahmen eines ganzheitlichen Meisterprojekts typische Kundenaufträge zu erfüllen. Dabei kommt es nicht nur auf höchstes handwerkliches Können an, sondern auch auf eine solide, umfassende Konzeption sowie auf die zuverlässige Qualitätskontrolle der Arbeiten. Sein praktisches Tun muss ein Meisterprüfling auch mündlich darlegen und erläutern, denn kommunikative Kompetenzen sind aus dem heutigen Wirtschafts- und Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken. Darüber hinaus sind in einer Meisterprüfung komplexe fachliche, betriebswirtschaftliche und berufspädagogische Aufgabenstellungen in schriftlicher Form zu lösen.
Meisterinnen und Meister übernehmen Verantwortung für die Ausbildung junger Menschen
Zum Profil eines Handwerksmeisters gehört neben fachlichen Kompetenzen zur meisterlichen Ausübung eines Gewerbes, unternehmerischer Expertise zur selbstständigen Betriebsleitung sowie die Befähigung zur Ausbildung von Lehrlingen. Damit integriert die handwerkliche Meisterprüfung alle Kompetenzen, die auch in der Ausbildereignungsverordnung (AEVO) for die sonstige gewerbliche Wirtschaft beschrieben sind. Durch diese Verbindung von fachlicher Expertise, Unternehmerkompetenz und Ausbilderbefähigung entsteht schon während der Meisterausbildung ein Bewusstsein für den hohen Wert von Ausbildung für Wirtschaft und Gesellschaft.
Ausbildung von jungen Menschen ist in vielen meistergeführten Handwerksbetrieben ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur. Hier paart sich berufliches Ethos mit unternehmerischem Nutzen. Denn selbst ausgebildete Lehrlinge kennen den Betrieb sowie seine Kunden und Partner persönlich. Sie sind zudem mit den Arbeits- und Geschäftsprozessen sowie den Arbeitskolleginnen und -kollegen bestens vertraut. Als Gesellinnen und Gesellen können sie deshalb vom ersten Arbeitstag an zur Wertschöpfung im Unternehmen beitragen.
Es ist kein Zufall, dass die Ausbildungsquote im deutschen Handwerk mit knapp 8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft ist und dass 95 Prozent der Auszubildenden im deutschen Handwerk in Meisterbetrieben oder in Betrieben mit gleichwertig qualifizierten Betriebsleitern ausgebildet werden.
Meisterinnen und Meister tragen Verantwortung für Verbraucher, Umwelt und Gesundheit
Handwerkliche Produkte und Dienstleistungen prägen unser Alltagsleben in besonderem Maße. Wir nutzen sie z.B. in unserer Ernährung, beim Bauen und Wohnen, zur Energie- und Wasserversorgung, für unsere Mobilität und zur Überwindung gesundheitlicher Einschränkungen. Verbraucher müssen sich täglich auf die Kompetenz und Sicherheit handwerklicher Arbeiten und Leistungen verlassen können, denn diese werden häufig direkt am Menschen oder in seiner unmittelbaren Lebensumgebung erbracht. Eine hohe Qualifikation von Handwerkern steht deshalb im unmittelbaren Interesse eines effektiven, präventiv ausgerichteten Verbraucherschutzes.
Die Meisterausbildung und die handwerkliche Erfahrung von Meistern schützt die Gesellschaft vor unsachgemäßen oder gar gefährlichen Arbeitsausführungen und befähigt jeden Betriebsleiter, Gefahren für Gesundheit, Leben und Umwelt zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken.
Qualifizierte Unternehmerinnen und Unternehmer sichern die Stabilität von Unternehmen und Arbeitsplätzen
Wirtschaftliche Flexibilität und Innovationskraft sind ohne hoch qualifizierte Unternehmer und Mitarbeiter nicht denkbar. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, die mit immer komplexeren und anspruchsvolleren Marktstrukturen sowie einem verschärften Wettbewerb konfrontiert werden, sind die fachlichen Kompetenzen aller im Betrieb mitarbeitenden Personen unerlässlich, um sich zu behaupten und wirtschaftlich erfolgreich zu agieren. Deutsche Handwerksbetriebe erweisen sich gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als sehr robust. Ursache hierfür ist vor allem die hohe fachliche Qualifikation ihrer Mitarbeiter.
Die Negativwirkungen einer Absenkung der Qualifikationsanforderungen werden von den Auswirkungen der Handwerksnovelle 2003 belegt, durch welche für zahlreiche Handwerke die obligatorische Meisterprüfung als Voraussetzung für Selbstständigkeit und Betriebsleitung abgeschafft worden ist: Nach einem kurzfristigen Anstieg der Betriebsgründungen bei diesen zulassungsfreien Gewerben waren bereits nach 5 Jahren 60 Prozent der Betriebe wieder vom Markt verschwunden. Was seither bleibt, ist ein eklatanter Einbruch der Ausbildungsbetriebsquoten in diesen Gewerken.
Auch die Größe der Unternehmen, die seit 2004 ohne Meister geführt werden können, hat sich dramatisch reduziert: Waren es vor der Novellierung noch durchschnittlich sechs Beschäftigte pro Betrieb, so hat sich diese Zahl innerhalb weniger Jahre mehr als halbiert. Die mit der Handwerksnovelle angestrebten positiven Effekte für Arbeit und Beschäftigung im Handwerk sind also mitnichten eingetroffen. Durch den Verzicht auf die Qualifikationsvoraussetzungen wurde vielmehr eine Dequalifizierungsspirale in Gang gesetzt, die kaum noch rückgängig gemacht werden kann. Im zulassungsfreien Handwerk haben heute nur noch weniger als 20 Prozent der Existenzgründer die Meisterqualifikation.
Meisterinnen und Meister sind Spitze am Arbeitsmarkt
Die Verwertbarkeit von Meisterabschlüssen auf dem Arbeitsmarkt ist ausgezeichnet: Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft liegt die Arbeitslosenrate von Meistern und ähnlich qualifizierten Technikern sogar leicht unterhalb von Hochschulabsolventen. Die Einkommen von Meisterinnen und Meister garantieren zudem eine ausgesprochen hohe Bildungsrendite. Die hohe Berufsqualifikation entlastet darum letztlich auch die Solidargemeinschaft, denn Meisterinnen und Meister sind in wesentlich geringerem Maße auf öffentliche Transferleistungen angewiesen als gering Qualifizierte oder Ungelernte.
Meisterinnen und Meister brauchen die Wertschätzung der Gesellschaft
Die Bildungsströme in Deutschland verlagern sich aktuell fort von der beruflichen hin zur akademischen Bildung. 2013 lag die Zahl der Studienanfänger zum dritten Mal in Folge oberhalb der Zahl von Personen, die eine Ausbildung im Dualen System begonnen haben. Dies ist Besorgnis erregend, weil die deutsche Wirtschaft Leistungsträger des beruflichen Bildungssystems in Zukunft mindestens ebenso benötigt wie Akademiker aus den Hochschulen.
Der Akademisierungstrend wird sich fortsetzen, wenn es nicht gelingt, einen grundlegenden Wandel in der gesellschaftlichen Wertschätzung der beruflichen Bildung herbeizuführen. Entscheidend ist insbesondere ein Umdenken von Schülern, Eltern und Lehrern bei der Berufs- und Ausbildungswahl. Hierbei spielen erreichbare Abschlüsse und die damit verbundenen Titel und Funktionen in Gesellschaft und Arbeitswelt eine große Rolle. Der Handwerksmeistertitel hat auch heute noch einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert und signalisiert Führungskompetenz im Handwerk. Durch die Gleichstellung mit dem akademischen Bachelorabschluss im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) konnte die Reputation des Meisterabschlusses in jüngster Zeit erfreulicherweise gestärkt werden.
Deutschland wäre sehr schlecht beraten, wenn die in weiten Teilen der Gesellschaft bekannte und geschätzte Meisterqualifikation geschwächt oder gar abgeschafft würde. Denn die im Meisterbrief zum Ausdruck kommende Anerkennung stiftet nicht nur Identität innerhalb der handwerklichen Berufe, sie ist auch ein Zeichen der Wertschätzung der Gesellschaft für einen hochwertigen beruflichen Karriereweg.
Kritik der Kommission der EU schadet der Meisterqualifikation
Die Kommission der EU stellt zurzeit alle Berufe, die eine Qualifikation vorschreiben, auf den Prüfstand. Darunter sind auch die 41 Handwerksberufe, die die
Meisterprüfung oder eine vergleichbare Qualifikation als Voraussetzung für eine Selbständigkeit haben.
Die Kommission begründet ihre Initiative mit dem Ziel, Marktzugangshürden abbauen zu wollen. Doch qualifizierte Facharbeiter aus Europa haben schon heute keine Probleme mit dem Sprung auf den
deutschen Arbeitsmarkt. EU-Ausländer können bereits seit Jahrzehnten in Berufen mit Meisterpflicht selbständig tätig werden. Die Mobilität in Europa ist in den Handwerksberufen also nicht beschränkt.
Was die EU-Kommission hier Iosgetreten hat, ist letztlich eine Scheindebatte. Sie bedroht damit die Qualifikations- und Qualitätsstandards der Beruflichen Bildung in Deutschland.
Die Bundesregierung hat im Zuge des Koalitionsvertrages deutlich gemacht, dass sie die Initiative der Kommission ablehnt und am deutschen Meisterbrief festhalten wird. Gleichermaßen hat sich der Bundesrat geäußert. Das Handwerk sieht sich hierdurch im nationalen Raum deutlich in seiner Entscheidung für ein qualifikationsbasiertes Unternehmertum bestätigt.
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks